Reduzieren vertikale Mäuse den Druck im Karpaltunnel? Eine Übersicht klinischer Studien (2025)
Dr. Sig
Wichtigste Forschungsergebnisse
- Klinische Wirksamkeit: Aktuelle Fachliteratur zeigt, dass vertikale Mäuse den Druck im Karpalkanal bei Patienten mit Karpaltunnelsyndrom im Vergleich zu Standardmäusen nicht signifikant reduzieren.
- Der Haken an der Sache: Vertikale Mäuse reduzieren zwar erfolgreich die Ulnardeviation (seitliche Biegung), induzieren aber häufig eine kompensatorische Handgelenksstreckung (Rückwärtsbeugung), wodurch die Vorteile zunichte gemacht werden.
- Aktivität vs. Haltung: Die dynamische Aktivität bei der Benutzung der Maus (aktive Bewegung) erhöht den Nervendruck deutlich stärker als die statische Haltung der Hand.
Die klinische Realität: Reduzieren vertikale Mäuse den Druck auf das Karpaltunnelsyndrom?
Die vertikale Maus wird häufig als therapeutische Maßnahme bei Karpaltunnelsyndrom (KTS) vermarktet. Die gängige Marketingstrategie suggeriert, dass die Neutralisierung der Unterarmpronation (Drehung der Hand in eine „Händedruckposition“) den Karpaltunneldruck verringert – der als ursächlicher Faktor für das Karpaltunnelsyndrom gilt (Rempel 1995).
Evidenzbasierte ergonomische Praxis erfordert jedoch eine Unterscheidung zwischen theoretischen Vorteilen und messbaren klinischen Ergebnissen. Dieser Bericht analysiert zwei wegweisende Studien – Schmid et al. (2015) und Keir et al. (1999) –, um diese Behauptungen eingehend zu bewerten.
1. Evidenz zu ergonomischen Hilfsmitteln für CTS-Patienten
Quelle: Schmid AB, et al. „Eine vertikale Maus und ergonomische Mauspads verändern die Handgelenkposition, reduzieren aber nicht den Druck im Karpaltunnel bei Patienten mit Karpaltunnelsyndrom.“ Applied Ergonomics. 2015.
Diese Studie ist besonders bedeutsam, weil sie Patienten untersuchte, bei denen bereits ein Karpaltunnelsyndrom diagnostiziert worden war, und nicht gesunde Freiwillige.
Die Ergebnisse zum Thema Druck
Wenn das primäre medizinische Ziel darin besteht, den Druck im Karpaltunnel zu senken und so den Nerv zu entlasten, zeigte diese Studie, dass vertikale Mäuse dieses Ziel nicht erreichten . In einigen Fällen war der Druck auf den Nerv bei Verwendung einer vertikalen Maus sogar etwas höher als bei einer herkömmlichen, kostengünstigen Maus. Daher stützen die klinischen Daten nicht die Behauptung, dass vertikale Mäuse grundsätzlich „schonender“ für den Medianusnerv seien.
Der Mechanismus: Der „Erweiterungs“-Kompromisse
Ergonomie ist oft ein Kompromiss. Zwar korrigierte die vertikale Maus erfolgreich ein Problem – die Ulnardeviation (seitliche Abknickung des Handgelenks) –, doch führte sie unbeabsichtigt zu einem neuen: der Handgelenksstreckung (Abknickung des Handgelenks nach hinten). Da die Abknickung des Handgelenks nach hinten auch den Druck auf den Karpaltunnel erhöht, hob diese neue Belastung die Vorteile der „neutralen“ Handschlagposition auf.
2. Evidenz zum Zusammenhang zwischen Körperhaltung und Aktivität
Quelle: Keir PJ, Bach JM, Rempel D. „Einfluss von Computermausdesign und Aufgabenstellung auf den Karpaltunneldruck.“ Ergonomics. 1999.
Ziel dieser grundlegenden Studie war es, festzustellen, ob die Körperform der Maus oder die Rotation des Arms der primäre Faktor für den Nervendruck ist.
Der Einfluss der Mausform
Die physische Geometrie der Maus hatte nur geringen Einfluss auf den Druck im Nervenkanal. Obwohl unterschiedliche Mausformen den Winkel der Handgelenksknochen leicht veränderten, blieb der Druck auf den Nerv statistisch unverändert. Dies deutet darauf hin, dass geringfügige ergonomische Anpassungen der Geräteform nicht automatisch zu medizinischen Vorteilen führen.
Die Auswirkungen der Unterarmrotation (Pronation)
Diese Erkenntnis stellt die zentrale Marketingaussage von vertikalen Mäusen infrage. Die Daten zeigen, dass die Drehung des Arms von der Pronation („Handfläche nach unten“) zur neutralen Handhaltung („Handshake“) nur einen minimalen Unterschied im tatsächlichen Druck im Karpaltunnel verursacht. Der Körper scheint die Unterarmdrehung relativ gut zu tolerieren, was darauf hindeutet, dass die „verdrehte Armhaltung“ nicht die Hauptursache für den Druckanstieg im Karpaltunnel ist.
Der Einfluss der Aufgabenaktivität
Der entscheidende Risikofaktor war nicht die Handposition, sondern die Handaktivität . Das bloße Auflegen der Hand auf eine Maus erzeugt nur geringen Druck. Sobald der Benutzer das Gerät jedoch aktiv nutzt (Cursor bewegen, Schaltflächen anklicken), steigt der Druck sprunghaft an. Dies deutet darauf hin, dass der Aufwand bei der Nutzung – die zur Ausführung der Aufgabe erforderliche Muskelspannung – eine wichtigere Variable ist als der Winkel des Handgelenks.
Abschluss
Auf Grundlage der detaillierten Daten dieser beiden Studien stellt die vertikale Maus ein biomechanisches Paradoxon dar. Obwohl sie den Unterarm optisch in eine „neutrale“ Position bringt, führt diese Neuausrichtung nicht zu einer statistisch signifikanten Reduktion des Drucks im Karpalkanal.
Das Ausbleiben einer Druckreduktion scheint auf eine kompensatorische Handgelenksstreckung (Schmid et al., 2015) und die Tatsache zurückzuführen zu sein, dass die aufgabenbedingte Anstrengung die positiven Auswirkungen der Körperhaltung überlagert (Keir et al., 1999). Folglich kann die vertikale Maus klinisch nicht allein aufgrund ihrer Fähigkeit zur Reduktion des Karpaltunneldrucks bei Patienten mit Karpaltunnelsyndrom gegenüber Standardmäusen bevorzugt werden.
Referenzen
- Schmid AB, Kubler PA, Johnston V, Coppieters MW. (2015). „Eine vertikale Maus und ergonomische Mauspads verändern die Handgelenkposition, reduzieren aber nicht den Druck im Karpaltunnel bei Patienten mit Karpaltunnelsyndrom.“ Applied Ergonomics , 47, 151–156. Quelle
- Keir PJ, Bach JM, Rempel D. (1999). „Einfluss von Computermausdesign und Aufgabenstellung auf den Karpaltunneldruck.“ Ergonomics , 42(10), 1350–1360. Quelle
Eine Anmerkung von Dr. Sig: Unsere Forschungsphilosophie
Wir erhielten eine interessante Frage von einem Leser: „Wollen Sie damit sagen, dass vertikale Mäuse nie funktionieren?“
Die Antwort lautet Nein. Unser Ziel ist es nicht, die vertikale Mausform gänzlich abzulehnen. Wir erkennen an, dass für viele Nutzer eine Änderung der Körperhaltung vorübergehende oder dauerhafte Entlastung bringen kann, indem die Belastung auf andere Muskelgruppen verlagert wird.
Unsere Mission: Wir entlarven konsequent pseudowissenschaftliche Marketingversprechen (wie die „nicht gekreuzten Knochen“-Diagramme), die Verbraucher in die Irre führen. Wir sind überzeugt, dass Sie Werkzeuge auf Basis verifizierbarer biomechanischer Daten – wie z. B. der Greifkraft und des intrakarpalen Drucks – und nicht aufgrund erfundener medizinischer Versprechungen auswählen sollten.
Wir möchten Ihnen die Ergebnisse bestehender Forschung objektiv präsentieren. Wenn eine vertikale Maus Ihre Schmerzen lindert, freuen wir uns darüber. Wir möchten Ihnen aber auch erklären, warum sie funktioniert (Veränderung der Körperhaltung) und welche Nachteile damit verbunden sind (Klemmkraft), damit Sie eine fundierte Entscheidung treffen können.
Lesen Sie die vollständige Untersuchung zu vertikalen Mäusen
- Teil 1: Der Knochenmythos (Röntgenanalyse)
- Teil 2: Die klinische Überprüfung (Druckdaten) (Aktueller Beitrag)
- Teil 3: Das Risiko durch Quetschkräfte (Biomechanik)
Teil 4: Leistung (Zielstabilität)